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Kein Wort über Hulda Wiesel – wer hat die Bürgerin von Oldisleben denunziert und in ihrem Leben eine unvorstellbare grausame persönliche Katastrophe verursacht?
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Kein Wort über Hildegard Wilkendorf aus Oldisleben – wer hatte sie denunziert?
“Die 21-jährige Hildegard Wilkendorf, von Beruf Stenotypistin, wurde wegen ‘staatsfeindlicher Äußerungen’ und ‘Umgang mit Kriegsgefangenen’ denunziert und im Oktober 1943 zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die sie in Erfurt verbüßte.”
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Kein Wort über Emil Dietrich aus Oldisleben – wer hatte ihn denunziert?
“Widerstand aus dem Glauben leistete Emil Dietrich aus Oldisleben, der zur Gemeinde der Zeugen Jehovas gehörte. Nach Angaben aus dem Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und anschließend in ein Konzentrationslager überstellt. Er überlebte und wurde 1950/1951 in der DDR erneut verfolgt.”
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Kein Wort über Kurt Telemann – wer hatte ihn denunziert?
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In der Ortschronik vermißt man sogar nähere Angaben über Fritz Hankel – wer hat dafür gesorgt?
Im Ort fehlen bisher Gedenkstein oder Gedenktafel, die über das schwere Schicksal von Fritz Hankel informieren. Bemerkenswert, daß die Informationen über Fritz Hankel sogar in der Ortschronik fehlen. Zu den offenen Fragen gehört, wer in Oldisleben Fritz Hankel denunziert hat, ob die Denunziation von den lokalen SA-NSDAP-Führungsleuten kam. Aus dem Archiv der Pfarre in Oldisleben dürfte hervorgehen, wie sich damals die Kirche, ihre Pfarrer und Mitglieder zu dem Fall verhielten, wer protestierte, wer schwieg. Als Hankel-Haftgrund wurde “Verkehr mit Juden” genannt – auch Jesus war ein Jude. Die bisher vorliegenden Informationen über den Hankel-Fall geben einen Eindruck davon, was für ein soziokulturelles Klima zur Nazizeit in Oldisleben herrschte, wie die Menschen miteinander umgingen. http://www.zeitzeugen-oldisleben.de/2018/08/15/fritz-hermann-hankel-hitler-und-faschismusgegner-in-oldislebenthueringen-ermordet-im-konzentrationslager-buchenwald-1942-wer-hat-ihn-denunziert-wer-hat-ihn-verhaftet-wer-in-oldisleben-hat-dageg/
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Über die Machenschaften von Göhring und Schreiber ließen sich problemlos Bücher füllen – in der Ortschronik fehlen sogar die Grundfakten:
“Während des Zweiten Weltkrieges mussten etwa 800 Kriegsgefangene sowie Männer und Frauen aus zahlreichen besetzen Ländern in der Zuckerfabrik und auf den Landgütern Göhring und Schreiber Zwangsarbeit leisten.[7]” Wikipedia
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Nach Angaben von Zeitzeugen der Region gab es auch in Dörfern wie Oldisleben nach 1945 ein regelrechtes Komplott, um schwerbelastete Nazis zu schützen. “Nazi-Amtsträger, Nazi-Aktivisten wurden gedeckt. Das ging nach dem Prinzip `Eine Hand wäscht die andere` – sagst du nichts über mich, sage ich nichts über Dich, wirst du nach der Nazizeit Vorteile haben. Viele, die bei Verbrechen mitgemacht hatten, darin verwickelt waren, kamen auf diese Weise davon.”
Eine Rolle habe gespielt, daß manche, die sich nach 1945 als Kommunisten ausgaben, daher auf Verwaltungsposten, Bürgermeisterposten gelangten, in Wahrheit gar keine Kommunisten gewesen seien, bei den Nazis mitgemacht hätten. In Oldisleben spreche in diesem Kontext Bände, daß just Fälle wie Hulda Wiesel oder Hildegard Wilkendorf nicht in der offiziellen Ortschronik von Lehrer Alfred Odebrecht erwähnt werden, natürlich auch nicht die Namen der Denunzianten. “Auch in Oldisleben gab es welche, die an Nazi-Straftaten direkt oder indirekt teilnahmen – nach 1945 aber alles abstritten, stets behaupteten, nichts darüber zu wissen.” Den Zeitzeugen zufolge war in der späteren DDR-Schulküche des Rathauses zuvor kurz nach 1945 eine Art Gefängnis, in der die Nazi-Bauern von Oldisleben für einige Tage eingesperrt gewesen seien.
Ortschronik-Verfasser Odebrecht sei an der Ostfront gewesen – ob er dort in Verbrechen verwickelt war, wisse man nicht. Wie es an der Ostfront zuging, beschrieb ein Zeitzeuge aus der Region: “Ich habe auch Massenexekutionen gesehen. Wie die an der Ostfront die Russen regelrecht abgeschlachtet haben, das kann sich niemand vorstellen. Ein Glück, daß ich ein einfacher Panzerfahrer war, keine Befehle geben mußte.”
Odebrecht war Lehrer an der Schule in Oldisleben, die Kollegen kannten ihn aus jahrelangem, engem Kontakt. Indessen ist von solchen Zeitzeugen nichts über die Rolle von Odebrecht im Nazismus-Kontext zu erfahren.
Heimatforscher in höherem Alter weisen 2018 zudem auf einen interessanten Aspekt: In bestimmten Thüringer Städten sei die Nazizeit überhaupt nicht aufgearbeitet, trauten sich Wissenschaftler nicht an das Thema. Dies liege daran, daß nach dem Anschluß von 1990 wieder bestimmte traditionelle Familien politisch-wirtschaftlich das Sagen hätten, die auch zur Nazizeit tonangebend gewesen seien. Diese Familien wollten auf keinen Fall, daß ihre Rolle im Nazi-Kapitalismus bekannt, näher beleuchtet werde.
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Oldisleben und Stalingrad. Zeitzeugen des Ortes, die den Zweiten Weltkrieg als Jugendliche, junge Erwachsene erlebten, erinnern sich:
“Vor der Niederlage von Stalingrad wurde von Einwohnern Oldislebens, die Angehörige, Verwandte an der Ostfront hatten, bemerkt, daß die zu den Soldaten geschickten Briefe und Päckchen zurückkamen. Das war ein schlimmes Zeichen. Man erzählte sich heimlich, wer in Stalingrad ist und umkommen muß. Und dann kamen die Nachrichten über die Niederlage – nicht nur, wer in Oldisleben NSDAP-Amtsträger war, konnte es nicht begreifen. Alle waren entsetzt. Aber es wurde ertragen. Niemand hat gesagt, Hitler ist schuld, der muß weg, keiner hat was kritisiert. Es gab nicht mal eine Gedenkfeier – man ging darüber hinweg. Die Männer waren als Soldaten an der Front – und wenn die umkamen, dann war das eben so. Wer von Oldisleben in der Woche mit dem Zug für Lehre oder Arbeit nach Erfurt fuhr, sah auf dem Bahnhof grauenhaft aussehende deutsche Soldaten von der Ostfront, richtig abgerissen, völlig fertig sahen die aus.
Auf die Russen gab es in Oldisleben damals einen gewissen Haß – und als dann 45 die Russen teils in Panjewagen durch Oldisleben zogen, richtete sich der Haß der Bewohner auf diese russischen Soldaten. Die Stimmung war – mit denen wollen wir nichts zu tun haben, gegen die haben wir verloren. Daß da jemand gar Selbstkritik übte, gar sagte, wir haben uns unter Hitler geirrt, auch über die Russen, die Sowjetunion geirrt – nein, sowas gab es nicht. Großgrundbesitzer Göhring ist gleich rübergemacht, als die Amerikaner noch hier waren.”
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Rechtsstaat BRD: “Umgerechnet auf die Bevölkerung, ging der Osten wesentlich rigoroser gegen nachgewiesenermaßen belastete Nazis vor und verurteilte etwa achtmal mehr Täter als der Westen.” Klaus Behling, Die Kriminalgeschichte der DDR, edition berolina. Wird den Schülern im Kyffhäuserkreis von den Lehrern ausführlich erläutert, wie das zu erklären ist – oder ist das brisante Thema tabu?
Warum DDR-Bürgerrechtler zu der heiklen Problematik verbissen schweigen…
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